ein Gastbeitrag von Hannes Bräu

Es wurde spät. Sehr spät. 0.20 Uhr. Für einen Unterrichtsgang: grenzwertig. Aber wer konnte ahnen, dass die Veranstaltung so lang dauern würde. 44 Schülerinnen und Schüler der Klassen 8a, 8b und 8c interessierte das an diesem Abend (oder sprechen wir besser von „in dieser Nacht“) nicht mehr. Müdigkeit? Fehlanzeige. Ausgelassen wurde im Bus auf der Rückfahrt gesungen, geratscht und vor allem über gehörten Texte fabuliert. Texte? Genau: Texte! Literatur! 14 an der Zahl. Ganz schön viel für einen Poetry Slam, der am Ende inklusive Pausen fast drei Stunden dauerte. Ein Marathon.

Poetry Slam: Vier einfache Regeln

22 Jahre gibt es nun Poetry Slam in Deutschland. Die Regeln sind einfach. Menschen „performen“ selbst geschriebene Texte in einer bestimmten Zeit ohne Kostüme oder andere Hilfsmittel. Am Ende entscheidet das Publikum, wer die Bühne als Sieger verlässt.

“Auf dem Boden ist noch Platz” – restlos ausverkauftes Stadttheater

Die Bühne war am Freitag vor den Faschingsferien das Landsberger Stadttheater. Für einen Slam eine geniale Location. 350 Personen passen offiziell rein. Richtig gezählt wird am Eingang aber nicht. Fast alle Slams in Landsberg sind meist restlos ausverkauft. Bemerkt haben das die Schülerinnen und Schüler der Realschule Murnau daran, dass nicht alle einen Sitzplatz ergattern konnten. Es war schlichtweg zu voll. Also musste auch der Boden als Sitzgelegenheit herhalten. Die begleitenden Lehrkräfte und Deutschlehrer der teilnehmenden Klassen, Eva Weizenegger, Nadine Eisenmann und Hannes Bräu, konnten ausnahmsweise im Vorfeld Tickets für die Schule reservieren. Ein Service für Klassen, den der Kreisjugendring Landsberg als Veranstalter gerne anpreist. Zusammen mit dem bekannten Slam-Master Ko Bylanzky sorgte der KJR für ein wirklich hochkarätiges Line-Up an diesem Abend, das allerdings nicht nur hoch dekorierte Slammer aus dem deutschsprachigen und internationalen Raum enthielt, sondern auch Lokalmatadoren aus Landsberg und Umgebung, die sich im Vorfeld anmelden konnten.

Der “Slam-Master” führt durch den Abend

Eine besondere Rolle an diesem Abend spielte Ko Bylanzky. Als Slam-Master ist er nicht nur der Moderator der Veranstaltung. Er sorgt mit seinem Wortwitz für die Unterhaltung beim Publikum und ist am Ende auch derjenige, der den Sieger küren muss, den das Publikum durch Beifall bestimmt. Keine leichte Aufgabe, bedenkt man die Fülle an guten Slammern an diesem Abend und kreischende Schülerinnen und Schüler im Publikum.

Erste Vorrunde: Schweizer Meister scheitert!

Noch bevor der erste offizielle Auftritt erfolgte, schickte Ko Bylanzky mit Robb Q. Telfer aus Chicago (USA) einen „Special-Guest“ auf der Bühne, der nicht nur aus dem Mutterstadt des Poetry Slams stammt, sondern auch zum Kreis von Marc Kelly Smith gehört, der als Gründer des ersten weltweiten Poetry Slams (1986) gilt. Dass sein niveauvoller englischsprachiger Text am Ende etwas unterging, lag auch am ersten offiziellen Slam des ehemaligen Schweizer Landesmeisters Valerio Moser, der mit einer herausragenden Performance seines Textes „Wasser“ sogleich das Publikum und vor allem die Schülerinnen und Schüler der Realschule Murnau in Ekstase versetzte. Für viele wäre er bereits ein würdiger Finalteilnehmer gewesen. Dann aber trat mit der Leipzigerin Sophia Szymula eine Finalteilnehmerin der letztjährigen deutschen U20-Meisterschaft auf. In „Prometheus neu verföhnt“ lehnt sich Goethe selbst gegen die Interpretationen seiner Stücke im Deutschunterricht auf. Das Publikum tobte. Die erste Finalteilnehmerin des Abends stand fest. Pause. 21:27 Uhr. Schon jetzt war aber klar: Wir werden uns verspäten.

Unwiderstehlicher “Waldemar” holt sich den Sieg

Denn auch die Slammer des zweiten Durchgangs schöpften ihre fünf Minuten auf der Bühne bis zur Erschöpfung aus. Zwei Highlights brachte die zweite Vorrunde aber auch noch: Zum einen Skog Ogvann aus Leipzig, dessen eigenartige „Gedicht“-Performance von “Veronika beschließt zu erben” sich von allen anderen absetzte und den Teamslam „Natürlich Blond“ mit Johannes Berger aus Hannover und Philipp Potthast aus München, der mit seinem abschnittsweise „gerapten“ Text „An unsere Freundinnen“ ein würdiger Finalgegner für Sophia gewesen wäre. Skog aber bekam den lautesten Applaus. Und auch im Finale konnte ihm keiner das Wasser reichen. Sein Text „Waldemar“ war zu skurril, zu herzhaft, zu poetisch – einfach unwiderstehlich.

Mittlerweile war es 22:57 Uhr. In 20 Minuten wollten wir zu Hause sein. Wird nichts. Smartphones raus, Eltern anrufen. Eine Stunde Verspätung und fast keinen hat’s gestört.

Zum Finale: Alle Slammer des Abends auf der Bühne versammelt

Bericht aus der “Augsburger Allgemeinen” von diesem Abend gibt es HIER

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